Es gibt kein Korrektiv für soziale Medien

Heike Buchter, Die Zeit:

Die Vorgänge um die angeblichen Biden-E-Mails zeigen wieder einmal deutlich, wie die Giganten der sozialen Medien de facto zu Schiedsrichtern in der öffentlichen Diskussion geworden sind.

In der Vergangenheit haben die Aktivitäten von Hunter Biden immer wieder auch für negative Schlagzeilen für den demokratischen Präsidentschafts­kandidaten Joe Biden gesorgt. Ins globale Rampenlicht war Hunter Biden wegen seiner Berufung in den Aufsichtsrat des ukrainischen Energieunternehmens Burisma geraten. Nachdem die Regierung von Viktor Janukowitsch durch die Maidan-Revolutionäre abgesetzt worden war, interessierte sich die Justiz für Burismas Eigentümer, Mykola Slotschewskyj. Er hatte Janukowitsch nahegestanden.

Biden Junior, der kurz zuvor als Reservist aus der US-Navy entlassen worden war, nachdem er positiv auf Kokain getestet worden war, sollte bei Burisma auf die Einhaltung von Corporate Governance Regeln achten. Zeitweise erhielt er monatliche Zahlungen in Höhe von 50.000 Dollar von Burisma. Zur selben Zeit drängte Vizepräsident Joe Biden die ukrainische Regierung dazu, Korruption und Bestechlichkeit in dem Land schärfer zu bekämpfen.

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Vor dem Aufstieg der sozialen Medien hätten konkurrierende Medien und Journalisten die Berichte der New York Post auf Schwach­stellen abgeklopft. Sie hätten eigene Quellen befragt, hätten weitere Informationen gesucht. Aus eigenem Interesse, um im Wettbewerb vorn zu liegen. Doch dieser Prozess braucht Zeit. Der Fall Hunter Biden zeigt einmal mehr: Wenn es um Aufmerksamkeit, Geschwindigkeit und Reichweite geht, haben Twitter, Facebook und Co. die traditionellen Medien längst abgehängt.

Statt einer Auseinandersetzung mit zweifelhaften Berichten, die auch dem Leser oder der Zuschauerin die Möglichkeit gibt, sich einen Eindruck zu verschaffen und eine Meinung zu bilden, bleibt der Umgang damit jetzt den Moderatoren der sozialen Medien überlassen. Diese haben sich entschieden, den New York Post-Bericht zu unterdrücken.

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Wenn die sozialen Medien durch die Aktion zeigen wollen, wie ernst es ihnen mit der Verhinderung von falschen Informationen ist, dann weckt die vergangene Woche mehr Zweifel an ihrer Fähigkeit, das erfolgreich zu tun. Was die Aufregung um den Biden-E-Mail-Bericht dafür deutlich zeigt: Es gibt keine Konkurrenz für diese Plattformen und damit kein wirksames Korrektiv. Das ist das Kernproblem der sozialen Medien.

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