Jörg Wimalasena, Die Zeit:

Twitters Argumente sind dünn
Die jetzige Verbannung des Präsidenten ist jedoch problematisch. Zwar kann die Plattform als Privatunternehmen natürlich jeden Nutzer entfernen, der sich nicht an die Nutzungsbedingungen hält, die Argumentation in Fall Trump ist jedoch dünn. Twitter stützt sich in seiner Entscheidung auf zwei Tweets, die Trump am Freitag kurz nach einer temporären Sperrung seines Accounts absetzte. Er teilte mit, dass er nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers Joe Biden teilnehmen wolle und dass er sich verbitte, dass seine Anhänger „in irgendeiner Weise respektlos oder ungerecht behandelt“ würden. Darin einen Aufruf zur Gewalt zu erkennen, klingt weit hergeholt und so stützte Twitter seine Entscheidung auf den weiteren Kontext von Trumps Verhalten in den vergangenen Tagen und Wochen. „Diese beiden Tweets müssen im Zusammenhang mit den breiteren Ereignissen im Land und der Art und Weise gelesen werden, wie die Erklärungen des Präsidenten von verschiedenen Gruppen mobilisiert werden können, etwa zur Anstiftung zu Gewalt, sowie im Zusammenhang mit dem Verhaltensmuster dieses Accounts in den letzten Wochen“ – so lautete das sperrige Statement von Twitter. Die Plattform stützt ihre Entscheidung also nicht nur auf gepostete Inhalte, sondern auf das generelle Verhalten des Präsidenten und die Rezeption seiner Statements. Damit erteilt Twitter sich selbst ein merkwürdig breites Mandat zur Gesamtbeurteilung des Verhaltens seiner Nutzer und deren Anhänger, das über eine simple Kontrolle der geposteten Inhalte hinausgeht – die an sich schon diskussionswürdig wäre.

Ω Ω Ω

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Twitter und Facebook damit begannen, die Äußerungen des Präsidenten nicht länger sporadisch, sondern in größerem Umfang zu kommentieren und zu problematisieren, als klar wurde, dass er die Wahl verlieren würde – und somit künftig von Trump vermutlich keine Gefahr mehr für deren Geschäftsmodell ausgeht. Mit den Wahlsiegen in Georgia haben die Republikaner nun nicht einmal mehr die Mehrheit im Senat. Künftige Anhörungen werden von den Demokraten geleitet, die schon seit Jahren ein aktiveres Vorgehen der Internetkonzerne gegen Trump und den rechten Medienkosmos in seinem Umfeld fordern. Da könnte es angesichts andauernder Monopolismus-Debatten um die Macht der Plattformen nicht schaden, der künftigen Mehrheits- und Regierungsfraktion entgegenzukommen. Dass Twitter nach Trumps jahrelangen Skandaltweets, die man auch in der Vergangenheit als Aufruf zur Gewalt (etwa die Forderung, Bundesstaaten mit strengen Covid-Beschränkugen zu „befreien“) hätte bewerten können, nun in den letzten Tagen seiner Präsidentschaft so entschieden vorgeht, hat zumindest einen faden Beigeschmack.

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