SPIEGEL: Graf Lambsdorff beschreibt in seinem Buch die Auseinandersetzung mit China als neuen Kalten Krieg. Zu Recht, Herr Fischer?
Fischer: Diese Wertung erklärt nichts, außer dass wir uns damit immer noch in der Gedankenwelt des 20. Jahrhunderts bewegen.
SPIEGEL: China ist also nicht die Sowjetunion des 21. Jahrhunderts?
Fischer: Nein, denn die UdSSR war ein Armenhaus, das mit brutaler Gewalt zusammengehalten wurde. Doch es hatte wegen des »Großen Vaterländischen Krieges« ein enormes militärisches Potenzial. China ist in einer völlig anderen Situation.
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Fischer: Ehrlicherweise sollte man sagen, dass wir als Deutschland nicht wirklich ein Interesse dort haben, das durch militärische Präsenz verteidigt werden könnte und müsste. Ich finde, wir sollten den Australiern politisch zur Seite stehen, die im Moment unter heftigem Druck Chinas stehen. Unter anderem, weil sie eine unabhängige Untersuchung des chinesischen Umgangs mit dem Coronavirus gefordert haben.
SPIEGEL: Aber was heißt für Sie »zur Seite stehen«?
Fischer: Man sollte den Chinesen klarmachen, dass wir die Haltung der australischen Regierung unterstützen und teilen. Aber wir sollten keine Fregatte da hinschicken.
Lambsdorff: Australien ist ein gutes Beispiel für die Frage, wie es um die Solidarität des globalen Westens bestellt ist. Wenn die Chinesen in diesem Fall ihre Wirtschaft als Waffe einsetzen, muss man Kanäle aufmachen, die diesen Angriff lindern. Europa sollte für australischen Wein oder andere landwirtschaftliche Güter die Zölle senken, um dem Land in dieser Situation zu helfen.
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Lambsdorff: Wenn wir uns sicherheitspolitisch von den USA abkoppeln würden, was manche vorschlagen, dann reden wir nicht mehr über zwei Prozent. Dann wird es gigantisch teuer. Deshalb sollten wir die zwei Prozent einhalten. Europa sollte alles dafür tun, dass der neue US-Präsident Joe Biden seine Präsidentschaft im nächsten Wahlkampf als außenpolitischen Erfolg verkaufen kann. Einen Trump 2.0 kann wirklich niemand wollen.