Sie nicht mehr in der Lage sind, daraus zu lernen.

Klaus Brinkbäumer, Die Zeit:

Die so aggressiven und selbstgewissen, zugleich gerade aber so verschreckten und zaghaften USA von 2020 sind ein Paddelboot im perfekten Sturm. Sie waren nicht vorbereitet auf die Covid-19-Pandemie, und dann haben sie zu spät reagiert. Noch heute sind sie sich nicht einig darüber, was da nun eigentlich geschieht und was es zu bedeuten hat. Immer noch streiten sie über Wahrheit, Wirklichkeiten und deren Deutung; und noch immer haben sie keine Strategie gefunden. Sie halten die Beschlüsse von gestern schon heute nicht mehr durch, weil ihr Präsident heute halt leider so ganz anderer Stimmung als gestern ist.

Und darum stimmt die Metapher nicht ganz und gar: Die USA von 2020 sind nicht lediglich ein Paddelboot auf hoher See. Es ist noch trauriger: Die USA haben selbst dafür gesorgt, dass aus einem Unwetter ein perfekter Sturm wurde.

Sars-CoV-2 hat etwas offengelegt. Das Gerede vom „großartigsten Land der Menschheitsgeschichte“ (Donald Trump), diese ganze amerikanische Autosuggestion, ist Selbstbetrug. Glatt gelogen. Es ist die größte Lüge in dieser an Lügen nicht armen Präsidentschaft. Denn die USA sind in entscheidenden Momenten bereits seit vielen Jahren eine dysfunktionale Nation. Sie kommen zu keinen Einigungen mehr, nicht einmal zu einer Verständigung über Zahlen und andere Wahrheiten; und sie sind politisch scheintot, nicht mehr handlungsfähig, da sie sich selbst ihre Kraft geraubt haben.

Die Vereinigten Staaten waren schon nach den Anschlägen des 11. September 2001 hilflos wahnhaft, als sie eine falsche Konsequenz nach der nächsten zogen, in Afghanistan und Irak viele Tausend Menschen sinnfrei sterben ließen, ebenso sinnfrei viele Milliarden Dollar verbrannten und bis heute außer einer Destabilisierung des Mittleren Ostens nichts erreicht haben.

Was die USA von heute anrichten, richten sie permanent an, sehend und eigentlich sogar wissend, und sie tun es doch alle paar Jahre aufs Neue. Weil ihre Fehler und Schwächen systemisch sind. Und weil sie nicht mehr in der Lage sind, daraus zu lernen.

Wieso sollte dieses komplexe, so riesige Land ausgerechnet unter Stress besser funktionieren als im Wahnsinn seines Alltags?

In Amerika kommen viele weitere Dinge hinzu, die eine Krise wie die aktuelle verschärfen. Das Sozialsystem ist schroff…

Die Ungleichheit ist in den USA extrem ausgeprägt, schärfer als in den sechs übrigen G7-Staaten: 20 Prozent der Amerikaner bekommen 52 Prozent der ausgezahlten Gehälter; und das durchschnittliche Einkommen afroamerikanischer Familien beträgt ganze 61 Prozent des mittleren Einkommens weißer Familien. Für jede Gesellschaft der Welt wäre diese Kombination in den gegenwärtigen Wochen toxisch.

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